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75 Jahre danach – II: die Front

75 Jahre danach:
Die „Dreimal wunderbare Mutter von Schönstatt“ und das
Kriegsgeschehen 1944/45 in Theilheim

( nach eigenen Erinnerungen und den Aufzeichnungen von Adelheid
Brehm, geb.1877, Schwester von Julie Kraus und Pater Ansgar)

Der
junge Expositus (Kaplan) Erhard Martin, geb. 1910, hatte das Dorf in
vielen „Andachten“ und öffentlichen
Gebeten dem Schutz
der „Dreimal wunderbaren Mutter von Schönstatt“ anvertraut
mit dem offenbar stillschweigenden
Einverständnis
der
Dorfbewohner, ihr eine Kapelle zu errichten, wenn das Dorf die
Schrecken des Krieges heil und unversehrt überstehen sollte. . Man
hatte für diesen Zweck schon einen Ort am Schwanfelder Berg – etwa
dort, wo heute das Haus von Julius Caesar steht – ins Auge gefasst,
und hinten an der
„Kalkhütte“ – heute Ende des Gartens von Taubenbrunnen 12a
– konnte man den alten
Maurer Johann Heuler beim
Behauen von Bruchsteinen für den Kapellenbau beobachten.

Am
24. Februar 1944, einem
Donnerstag, als abends
rings herum die Dörfer
Hergolshausen, Garstadt, Bergrheinfeld, Grafenrheinfeld und
Hirschfeld brannten, schien der Schutz der Madonna noch gesichert:
Außer
einer
Brandbombe bei der Seuferts
Emmy, dem Beckehannes Jopher und
dem Bätz Ernst,
die rasch gelöscht werden konnten,
gab es dabei nur noch den
Zwischenfall, dass die
„Flak-Helferinnen“,
die den Scheinwerfer auf der Fußhöhe bedienten, dessen
Lichtkegel der Schweinfurter Flak die
feindlichen Flugzeuge zum Abschuß präsentieren sollte,
von den Mädchen wegen der nahen Bombeneinschläge fluchtartig
verlassen wurde, so daß der Lichtkegel für den Rest der Nacht
starr am Himmel zu sehen war.

Wie
schon im Jahr zuvor organisierte Kaplan Martin in den letzten 12
Nächten vor dem Heiligen Abend auch
1944 kleine Prozessionen,
in der das Gnadenbild der Madonna, das ansonsten in der Sakristei der
Kirche für Bittgebete aufgestellt
war, in Begleitung von
Messdienern und singenden jungen Mädchen – besonders erinnere ich
mich dabei an die
Weißenbergers Hedwig und
Liesbeth, und die beiden
Caesar-Töchter Martha und Maria – bei eintretender Dunkelheit
unter Kerzenlicht von einem besonders
frommen
Haushalt zum nächsten getragen wurde. Im
jeweiligen Haus hatte man einen kleinen Altar errichtet und war
stolz, die Madonna einen Tag beherbergen zu dürfen.

Am 16. März 1945, einem Freitag, gegen Abend, war der Himmel über
dem Schwanfelder Wald plötzlich feuerrot. Es dauerte nicht lange und
es ging die Nachricht durchs Dorf: „Würzburg brennt“; aber man
hoffte weiter auf die „Dreimal wunderbare Mutter von Schönstatt“.

Als
der Kanonendonner immer näher rückte – man hörte den
Donner ja schon, seit die
Amerikaner den Rhein überschritten und Frankfurt eingenommen hatten
– beratschlagten die Leute, was für den Ernstfall zu tun sei. Aus
Furcht, die durchziehenden deutschen oder
feindlichen Truppen könnten die ganzen Lebensmittel aufzehren oder
beschlagnahmen, fing man an, Kisten
mit Fleisch, Mehl, Kartoffeln etc. in alten
Rübenlöchern oder sonstwo zu vergraben. Man beratschlagte, ob man
im Dorf bleiben oder dem Angriff auf die Kugellagerstadt Schweinfurt
nicht besser in den Wäldern Richtung Wipfeld ausweichen sollte. Mein
Großvater Josef Kraus und meine Mutter – mein Vater war damals
bei der Flak in Sennfeld – entschieden schließlich, im Dorf zu
bleiben, da man unter Umstände ja Brände löschen müsste, eine
Entscheidung, die sich für meinen Großvater als tödlich
erweisen sollte.

„Ab
Mittwoch[4.4.- Ostersonntag
war am 1.4.]“,
vermerkt meine Großtante Adelheid Brehm (A.B.) in ihren
Aufzeichnungen „waren wir
nachts im Keller; dann zogen sich die amerikanischen Panzer wieder
zurück“. Man hörte, dass die deutschen Soldaten das Dorf
verlassen hätten und war froh, dass sich die Kämpfe vielleicht
nicht im Dorf abspielen würden. Aber
man hatte sich zu früh gefreut. Irgend ein SS-Mann im Dorf soll das
Militär wieder zurückgerufen haben. Ein militärischer
Aussichtsposten soll dann auf dem Kirchturm stationiert worden sein.

Beim
Brot-holen
– mein Bruder und ich sollten vier Laibe beim
Hetterich, der Tag und Nacht Brot buk,
holen – standen Panzerfäuste ans Haus vom Hetterichs-Bäck
gelehnt, die wir genau betrachten wollten; aber irgendwer vertrieb
uns.

Da
unser Haus – damals
vorletztes Haus im Dorf, heute Taubenbrunnen 6 –
den direkten Blick zum Schwanfelder Berg bot, gingen die deutschen
Soldaten bei uns ein und aus, und meine Mutter versuchte, soweit
möglich, sie zu verköstigen. Am Donnerstag,
5.
oder Freitag, 6.
April sagte ihr ein junger deutscher Leutnant, der ihr wegen seines
roten Haarschopfs aufgefallen war, „Frau, wir haben Befehl zum
Gegenangriff, wünsch uns Glück“. Damit verschwand er, und
man sah, wie sich eine Gruppe deutscher Soldaten mit Sturmgewehren
Richtung Wald bewegte. Es kam zu einer längeren Schießerei. Der
Rotschopf kam nie
mehr zurück.

In
den Aufzeichnungen von A.B. heißt es dazu: „Am Freitag
[6.4.]
Abend beschoß die Artillerie deutsch und amerikanisch; es brannten
Abend 2 Scheunen ab, bei Stumpf und Sauer. Auch der Kirchturm wurde
getroffen.“

Als
die Scheunen brannten, kamen die Leute aus den Kellern zum Löschen.
Wir, d.h. die Frauen und Kinder, versammelten uns im Wohnzimmer bei
Kraus neben der Kirche, während Großvater einen Wagen anspannen
ließ, um fürs Löschen Wasser von der „Weith“ zu den brennenden
Scheunen zu transportieren. Irgendwann
fragte jemand, wo mein Bruder Albin geblieben sei. Er war nicht da.
Erst in der Nacht kam er zurück, um zu verkünden, er habe mit dem
Pferdefuhrwerk das Wasser, das die Leute in Bottiche
und Wannen auf seinem Wagen
füllten, zur Scheune vom Sauer und Stumpf gefahren. Der
Knirps war im März gerade
10 Jahre alt geworden.

Wenn
A.B. schreibt: „Am
Freitag[6.4.],
Samstag[7.4.] u. Sonntag[8.4.] und Montag [9.4.]
waren wir den ganzen Tag im Keller“, so
handelte es sich dabei
zunächst
um den Keller im Oberen Hof
unter der Scheune bei den Krausen – damals Hausnr. 61, heute
Kirchgasse 20
, dessen steinernes Gewölbe zusätzlich noch durch einige Meter
Stroh in der Scheune geschützt war. Mein Großvater Josef Kraus
hatte dort
für die Familien Kraus und Bätz Bänke
und Decken zum Übernachten und reichlich Proviant untergebracht, in
der Hoffnung, den Durchmarsch der Amerikaner nach Schweinfurt dort
sicher zu überleben.

Dann
geschah das Unfassbare. A.B. protokolliert dazu nur kurz: „Am
Samstag[7.4.]
Mittag um ½ 3 Uhr trafen zwei amerikanische Sprenggranaten unser
Haus und den Anbau vom Haus, Stall und Scheunendach. Da
riß der Luftdruck unsere Kellertür auf und man glaubte, es brenne;
es riß meinem Schwager [Josef Kraus] den Strick aus der Hand; er kam
bis an die Tür; dort trafen ihn Granatsplitter und er lag wie tot am
Boden. Er hatte einen Durchschuß und noch mehr Splitter.“

Was war geschehen?

Großvater stand im Keller unten links neben der „Kellerstiege“
und hielt mit einem langen Seil die zwei schweren Türflügel oben
fest geschlossen – schließlich gab es ja keine Verriegelung von
innen.

Ich
saß schräg hinter ihm auf einer Bank. Plötzlich flogen die beiden
Türflügel weit auf und man sah offenbar den aufgewirbelten Staub,
den mein Großvater für den Rauch der Flammen hielt. Er
rief „Feuer, alle raus“ und stürmte die Treppe hoch. Ich lief
hinter ihm her und war vielleicht in der Mitte der Treppe, als ich
sah, wie er oben auf der Türschwelle zusammenbrach. Es sollte dies
das Letzte
sein, was ich jemals von meinem Großvater gesehen
habe.

Tante
Lidwina und Großmutter
stürzten die Treppe hoch, während meine Mutter uns Kindern
befahl, nach hinten durchs
Kellerloch hinauszusteigen, zu Neders Bierkeller schräg gegenüber
unserem Haus – er gehört heute den Borsts – zu rennen und dort
zu warten. Neders Bierkeller
war voller Leute und wir versuchten einfach, dort ein Plätzchen zu
ergattern
und warteten. Irgendwann kam Mutter und sagte, Großvater sei von
einer Granate verwundet und wir sollten hierbleiben und warten.

Wie
ich später erfuhr, hatte er einen Granatsplitter im Bauch und
weitere Splitter überall im Körper. Das Kissen, das man ihm auf
einem Wagen nebenan in der Halle unterlegte, soll sofort blutgetränkt
gewesen sein. Einen
Arzt gab es nicht, und so holte man die Krankenschwester aus dem
Dorf. A.B. schreibt dazu: „Nachts[von Samstag 7.4.
auf Sonntag 8.4.] lag er im Keller und stöhnte. Am
Sonntag[8.4.]
früh empfingen unser Schwager, ich, Agnes, Juli und Oskar die hl.
Kommunion im Keller wie in den Katakomben.
Früh um 7 Uhr kamen die ersten Amerikaner ins Dorf. Es gab hier 10
Tote, da auch viel Militär hier war.“

Die
Nacht mit dem eigentlich schon Sterbenden muss, da man in dem Chaos
keine Hilfe herbeiholen konnte, schrecklich gewesen sein. A.B. fährt
dann fort: „Die Amerikaner taten dann [So. 8.4.] meinen Schwager,
nachdem ein amerikanischer Arzt da war, mit Sanitätsauto in ein
Lazarett. Nach 10 Tagen erfuhren wir [ durch reinen Zufall, nur
weil ihn ein Würzburger
Verwandter in einem Gang dort liegen sah],
daß er im Luitpold-Krankenhaus lag.“

Zum
weiteren Schicksal meines Großvaters hier nur so viel: Im
Luitpold-Krankenhaus, wo es damals weder Narkose- noch sonstige
schmerzlindernde Mittel gab, wurde Josef Kraus mehrmals operiert,
wobei man den vor Schmerzen brüllenden Mann von zwei Leuten
festhalten ließ, um ihm ein Auge auszuoperieren
und einen Arm und ein Bein
zu amputieren,
bis er nach endlosen Wochen am 20. Juni 1945 an Blutvergiftung in
Würzburg verstarb.

Gleichzeitig
hatten sich an anderen Kriegsschauplätzen
in Theilheim weitere Greuel
ereignet. A.B. schreibt
dazu: „Am [Samstag] 7.
zur selben Zeit
riss ein Granatsplitter einer Frau von Bergrheinfeld den rechten Arm
weg, ihrem Bruder den Kopf und dem Joseph
Kestler, Vater von sieben Kindern, zerquetschte ein Granatsplitter
die zwei Beine. Kestler erlag noch seinen Verletzungen in der Nacht
von Samstag[7.4.]
auf Sonntag[8.4.].“

A.B. fährt dann fort: „Karl Friedrich bekam einen Bauchschuß. Die drei [gemeint ist wohl Kraus, Friedrich und die Frau ohne Arm] kamen ins Lazarett von den Amerikanern.“

[Da von der Familie Friedrich bislang keine Einzelheiten über das damalige Geschehen zu erfahren waren und die Familie Kestler wegen der z. Zt. grassierenden Corona-Pandemie nicht kontaktiert werden kann, muss ich mich hier auf die dürftigen Hinweise in den Aufzeichnungen von Adelheid Brehm(AB) beschränken ]*)

Während
wir Kinder weiterhin in Neders Bierkeller ausharrten, versorgt von
Mutter, die immer wieder
Dinge aus unserm Haus
gegenüber holte,
verbrachte die restliche Familie Kraus nach den Notizen von A.B. ab
Montag, den 9.
4., Dienstag, den 10.4.
und Mittwoch
den 11.4.
im Keller der Gastwirtschaft Barth. In
dieser Zeit, wie A.B. schreibt „von Sonntag[8.4.] bis
Mittwoch[11.4.]
wurde Schweinfurt beschossen. Am Mittwoch
früh um ½ 9 Uhr ergab sich Schweinfurt.“

Wahrscheinlich am Montag, den 9. oder Dienstag, den 10. April abends tauchte am Eingang von Neders Keller aus der Sicht von uns Kindern damals ein riesiger Neger mit einer Schachtel unter dem Arm auf. Er rief vermutlich „Where is a baby?“in den dunklen Keller und warf dann eine Tafel Schokolade in die Richtung. Ich hörte nur „baby“ und vermutete, dies heiße wohl „Schokolade“. Deshalb rief ich Achtjähriger kräftig „baby, baby, baby“, bis eine Tafel von dicker Blockschokolade bei mir landete. Dies war mein erster, ziemlich missglückter Kontakt mit einer Sprache, die ich eines Tages perfekt beherrschen sollte. Die Blockschokolade übrigens, die ich später zuhause in einer Tischschublade versteckte, um mir täglich ein Stück zu holen, war nach wenigen Tagen völlig verschwunden. Einer meiner Brüder muss wohl das Versteck entdeckt haben.

Wohl
Dienstag, den 10. April,
konfiszierten die Amis unser Haus – heute Taubenbrunnen 6 –
jagten uns alle hinaus,
fuhren einen Lkw mit einer Art Kücheneinrichtung in den Hof und
befestigten Fernmeldeleitungen außen am Haus, offensichtlich für
eine Art Kommandostelle.

Jedes
Mal,
wenn meine Mutter versuchte, etwas für uns
Kinder aus dem Haus zu holen, gab es eine riesige Auseinandersetzung
mit einem
schwarzen oder weißen GI, der
meine
Mutter nicht verstand.

Einmal
führte man sie dann vor ins Haus der Schmitts Franziska, wo ein
deutsch sprechender Offizier sie anhörte und ihr erlaubte, ihr
eigenes Haus kurz zu betreten. Wie sie
später erzählte, sah sie
die Amis, die mit Stiefeln
in den Betten lagen.

Da
das Hoftor offen war, stahlen wir Kinder uns untertags
in den Hof und beobachteten die Amis beim Kochen. Manchmal
bekamen wir dabei einen Kaugummi zugeworfen.
In einem riesigen Behälter
kochten sie Kaffee und warfen dann den Kaffeesatz auf den Mist. Es
war Bohnenkaffee, den es in Deutschland schon lange nicht mehr gab;
deshalb schlichen sich später, als die Amis für ein paar Tage aus
unserem Haus verschwanden – um nochmals zurückzukommen! – Leute in
den Hof und löffelten einen Teil des Bohnenkaffeesatzes
aus dem Mist.

Auch
das teilweise zerstörte
Haus meiner Großeltern Kraus gegenüber der Kirche nahmen sich die
Amis. A.B. schreibt: „Am [Fr..]
13. April kamen die Amerikaner und besetzten unser zerschossenes
Haus; wir mußten alle das Haus verlassen und trugen unsere Betten
u.d. gl. ins
Nachbarhaus; schlafen taten wir bei Barths. Es
war hart für mich, weil ich noch krank war. Die Amerikaner waren bis
Mittag 11 Uhr [Sa.
14.4.] drinnen, dann durften wir wieder ins Haus. Agnes [Bätz] mußte
2 Mal räumen.“ – „Es
war ein großes Durcheinander, als man ins Haus kam, alles
durchstöbert und die Schachteln im Keller aufgeschnitten. Wir haben
nur ein Zimmer, wo nichts kaputt ist.“

Also
nicht nur die Russen, was ja bekannt ist, haben alles mitgehen
lassen, was nicht hieb- und nagelfest
war, auch die amerikanischen GIs
haben alles geklaut, was ihnen wertvoll erschien. So landeten sicher
irgendwo in amerikanischen Schränken oder Tresors gut ein Dutzend
silberne Theresienthaler, die Großtante Adelheid Brehm uns Kindern
über die Jahre
zum Geburtstag geschenkt hatte, welche, mangels eines Tresors, bei
uns in der oberen Schublade des noch heute
vorhandenen Vertikos aufbewahrt
wurden.

Da
man in Neders Keller kaum schlafen konnte und auch das Haus Bätz von
den Amis besetzt war, traf sich Familie Kraus und Bätz in
diesen Tagen beim Onkel
Johann in der „Gastwirtschaft zum Bären“, wo sich
auch die Kinder Hedwig und Adelheid Stumpf herumtrieben, und wo wir
auf dem nackten Tanzboden nächtigten mußten.

Tage
später erging offenbar General Eisenhowers
„Anti-Fraternization-Befehl“, der es den GIs
verbot, mit Deutschen – die GIs
hatten bereits das deutsche „Fräuleinwunder“ entdeckt – in
Kontakt zu treten. Es wurde eine
Ausgangssperre eingeführt, und niemand durfte sich nach 6 Uhr abends
auf der Straße blicken lassen. Die Kontrolle übte ein Neger aus,
der mehrmals am Abend auf einem Fahrrad ohne Bereifung an unserem
Haus vorbei ratterte. Da man ihn von weitem hörte, konnten wir uns
immer rechtzeitig in den Hof zurückziehen.

Die Kriegsgefangenen übrigens, Russen, Polen, Holländer, Belgier,
Franzosen, waren mit dem Einzug der Amis fast alle verschwunden.

Krausens
Polin Helena schnappte sich ihren polnischen Freund Stefan und
wanderte mit ihm
nach Kanada aus.(In den 70er
Jahren erhielt Lidwina Kraus
eine Anfrage der kanadischen Rentenversicherung
zum Beschäftigungsverhältnis von Helena zwischen1939 und 1945).
Von den übrigen
Polen hörte man, dass
sie plündernd durch die Gegend zogen, so dass die wenigen älteren
und alten Männer – der
ehemalige Volkssturm – mit
Knüppeln auszogen, um sie aus den Wäldern zu vertreiben.
Pierre, ein schwarzhaariger
Südfranzose, der bei meinem Großvater Kraus gearbeitet hatte und
als gelernter Weinbauer sich um die Qualität des Mosts, der damals
noch in Fässern unter dem Pfarrhaus lagerte, gekümmert hatte, fuhr
eines Tages in einem amerikanischen Jeep bei meiner Großmutter vor,
erklärte, dass
er jetzt der Bürgermeister von Werneck sei und verlangte oder bat –
man hatte ihn ja immer sehr
gut behandelt – man möge ihm ein Glas von „seinem“ Most
vorsetzen. Leider hat man damals versäumt, seinen Familiennamen und
seinen Herkunftsort zu notieren, so daß meine Bemühungen, ihn zu
finden, 15 Jahre später in Frankreich scheiterten.

Nach
Beendigung der Kämpfe gingen Männer, u. a. Hermann Stumpf und Georg
Pröstler, über die Felder und sammelten Leichen und Leichenteile
der gefallenen Soldaten ein, die man dann in einem eigenen Grab im
Friedhof begrub.

Allmählich
begann sich das Leben in
Theilheim zu normalisieren. Erste
Flak-Soldaten wie auch mein Vater kehrten zurück, und
Hunger-leidende Schweinfurter zogen fast täglich durchs Dorf und
bettelten
mit einer Blechbüchse in der Hand bei den Bauern um einen Löffel
Schmalz. Auf dem Weg durch die Dörfer sammelten sie im Herbst
dann auch die Äpfel der
Straße entlang auf, um die
sich heute niemand mehr bückt. Die Läden waren – bis zur
Währungsreform im Juni 1948 – leer, und um eine Zuteilung für
Kinderschuhe oder auch nur
Zucker zu erhalten, brauchte man einen Bezugsschein, der von der
Gemeinde – d. h.
der Gemeindeschreiberin Lina Hetterich oben in der Post –
ausgegeben
wurde.

Die Schule nahm ihren Betrieb wieder auf, und wir, d.h. der Borsts Georg, der Rottenbergers Herbert, der Fischers Winfried, der Seuferts Raimund, der Friedrichs Otto, der Sauers Adolf, der Zeh Winfried, die Hetterichs Helene, die Kestlers Agnes, die Pregers Erna, Zollers Monika, die Kimmels Helma und meine Wenigkeit, gingen wieder in die „Kleine Schule“, in die 3. Klasse, zu Fräulein Lehrerin – damals hießen alle unverheirateten Frauen „Fräulein“ – Eva Bergmann, eine Autorität ausstrahlende Dame in den 50ern, die am Sonntag nach der Messe oft bei den „Krausen“ reinschaute und von meiner Großmutter als sehr freundlich und liebenswürdig bezeichnet wurde.

Von einem Kapellenbau für die „Dreimal wunderbare Mutter von
Schönstatt“ war nach allem , was passiert war, keine Rede mehr.
Die jungen Mädchen erwarteten die heimkehrenden Soldaten, gingen mit
ihnen zum Tanzen, verheirateten sich und kümmerten sich verstärkt
um ihre irdischen Bedürfnisse.

Der
gestrenge Verehrer der
Gottesmutter von
Schönstatt, Expositus
Martin, wurde einige Jahre
später Pfarrer in
Ober-Thulba
und in Teilheim erschien der menschenfreundliche und liebenswürdige
Kaplan Welzbacher.

Willi Bätz, im April 2020

*) Postskriptum vom Mai 2021:

Erwin Kestler, den ich noch zum Tod seines Vaters befragen wollte, ist inzwischen im Altersheim in Werneck an Corona verstorben. Otto Friedrich, den ich bat über die Verwundung seines Vaters zu berichten, hat bis heute keinen Beitrag geliefert.

Aufzeichnungen von Adelheid Brehm während der Front im April 1945: