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Die JRSO und die enteigneten „arisierten“ Besitztümer

Die im Jahre 1948 in New York gegründete „Jewish Restitution Successor Organisation“, genannt JRSO, nahm unmittelbar darauf in Deutschland, das unter der Verwaltung der alliierten Militärgouverneure stand – die BRD wurde bekanntlich erst 1949 gegründet – ihre Arbeit auf.

Ziel der JRSO war es, die Rückerstattung des erblosen Vermögens von Privatpersonen zu betreiben, welche als „jüdisch“ rassistisch verfolgt und dabei ums Leben gekommen waren.

Das auf diesem Wege erworbenen Vermögen verteilte die JRSO an jüdische Institutionen und Organisationen vor allem in Israel und den USA.

Eine Unterorganisation der JRSO, die „Jewish Cultural Reconstruction (JCR)“ kümmerte sich dabei um die Rückgabe der von den Nazis beschlagnahmten jüdischen Kulturgüter wie z. B. um die niedergebrannten Synagogen.

Gemäß den Forderungen der JRSO mussten alle Käufe jüdischen Eigentums ab 1935 neu verhandelt werden. So kam auch der Verkauf des Anwesens Theilheim 96 – heute Taubenbrunnen 6 – durch Leo Freudenthal an Ernst Bätz vom 17. August 1936 in die Mühlen der JRSO.

„( Quittung: 200 RM in W.zweihundert Reichsmark, die ich als Restschuld für mein verkauftes Anwesen heute richtig erhalten zu haben, hiermit bescheinige. Theilheim, den 25. Oktober 1936, Leo Freudenthal)“

Trotz Vorlage des notariellen Kaufvertrags und der Quittung=Bestätigung durch Leo Freudenthal, den ganzen Kaufpreis erhalten zu haben, bestand die JRSO darauf, dass Ernst Bätz eine Bestätigung des Verkäufers vorlege, aus der ersichtlich sein müsse, dass der Verkauf seinerzeit ohne jeglichen Zwang durch Behörden oder Staat erfolgt sei.

Der bereits hochbetagte Leo Freudenthal und seine Kinder lebten, wie man wusste, irgendwo in New York oder New Jersay an der Ostküste der USA. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es damals weder Handys noch E-Mails gab und dass ein Telefongespräch nach USA ein kleines Vermögen kostete.

Meine Mutter Agnes Bätz ging also zu Schwester Eustolia, die als ehemalige Handarbeitslehrerin brieflichen Kontakt mit der Tochter Gutta Freudenthal, der früheren Freundin meiner Mutter, aufrecht erhalten hatte, und besorgte sich Guttas Adresse, in der Hoffnung, dass der alte Leo Freudenthal noch am Leben sei.

Da man nie und nimmer in der Lage gewesen wäre, Haus und Hof nochmals zu bezahlen, blieb nur ein eingeschriebener Brief an Gutta mit der Bitte, ihren Vater zu veranlassen, eine entsprechende Bestätigung zu unterschreiben.

Nach wochenlangem Warten kam eine Antwort von Gutta mit einer maschinenschriftlichen Bestätigung vom 8.Oktober 1947, gezeichnet Leo Freudenthal, aber ohne den geforderten Wortlaut und ohne persönliche Unterschrift.

Mein Vater fuhr im Januar 1948 mit der Bestätigung nach Würzburg. Da ich zu dieser Zeit bereits Zögling des Bischöflichen Knabenseminars St. Kilian, genannt Kilianeum, war, war ich behilflich bei der Suche der JRSO in der Zeppelinstr. 15, am Mainkai in Würzburg, Richtung Sanderau..

Nach Vorlage der genannten Erklärung von Leo Freudenthal erhielten meine Eltern nachfolgendes Schreiben vom 4. Februar 1948, in dem die Erklärung Freudenthals als nicht akzeptabel bezeichnet wurde und meinen Eltern ein neuer Termin von nur acht Wochen eingeräumt wurde.

Entsetzt über diese Nachricht schrieb meine Mutter sofort wieder an Gutta Freudenthal In New York und wartete dann ungeduldig. In dieser Zeit erreichte sie dann das Schreiben eines Johann Bauer, Treuhänder der JRSO, vom 25. Februar1948 mit der Aufforderung, zunächst einmal Miete für das „jüdische Eigentum“ zu zahlen.

Wochen später kam dann aus New York der nachfolgend abgebildete handschriftliche Zettel mit der krakeligen Unterschrift des 85jährigen Leo Freudenthal, den man sofort bei der JRSO in Würzburg vorlegte.

Man kann sich vorstellen, mit wieviel Hoffen und Bangen man dann auf eine Entscheidung der JRSO wartete, bis Anfang 1949 endlich das erlösende Schreiben von der JRSO-Außenstelle Schweinfurt/Gerolzhofen eintraf.

Es ist wohl nur der Tatsache zu verdanken, dass meine Mutter und Gutta einst beste Freundinnen in der Schule waren, dass Gutta ihren alten Vater rechtzeitig zu einen Notar in New York schleppte und die Rückantwort rechtzeitig bei der JRSO vorgelegt werden konnte.

Aus diesem Geschehen ist klar ersichtlich, dass alle im Dorf, die ab 1935 in den Besitz jüdischen Eigentums gekommen waren und einen entsprechenden Nachweis nicht vorlegen konnten, von der JRSO damals rigoros zur Kasse gebeten wurden.

Verfasst an Allerheiligen des Jahres 2022

W. Bätz