Familiengeschichten: Episoden im sog. Theilheimer Schloss

Foto Schloss Theilheim
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Der „zweigeschossige Bau mit gebrochenem Dach und Freitreppe vor dem Portal“(Theilheimer Chronik S. 27 ), erbaut in den 40er Jahren des 18. Jh. vom Freiherrn Karl Heinrich von und zu Erthal, heute bekannt als „Theilheimer Schloss“, hat eine lange Geschichte als herrschaftliches Gebäude der ehemaligen Vögte und Verwalter der Theilheimer Erboblei (= Freihöfe) des Domkapitels im Hochstift zu Würzburg.

Mit der Säkularisation von 1803 geriet „das ansehnliche Haus mit Stallungen und anderen Gebäuden“(Chronik S. 27 ) in verschiedene bürgerliche Hände und wurde schließlich, 1870 von Philipp Herold, einem Bauern aus Brünnstadt käuflich erworben. Ab da erscheinen hinter den historischen Namen und den abstrakten Zahlen erstmals noch heute bekannte Menschen aus Fleisch und Blut; denn hiermit beginnt, was die Geschwister Adelheid Brehm (1877-1947), Julie Brehm, verh. Kraus (1882-1970) und Josef Brehm, alias Pater Ansgar (1890-1987) dem Erzähler wiederholt berichtet haben.

Der Witwer Philipp Herold (1798 – 1877) hatte die Tochter Eva des Theilheimer Bauern Michael Brehm (1787-1829) geheiratet und lebte mit seiner Frau in Brünnstadt.
Eva Herold (1819-1899), die junge Frau des Witwers Philipp Herold fühlte sich in Brünnstadt vereinsamt und hatte Heimweh nach Theilheim und ihren Verwandten. Aus diesem Grunde verkaufte Philipp Hab und Gut in Brünnstadt und erwarb das Theilheimer „Schloss“.
Der glücklichen Ehe, die mit dem Tode Philipps am 11.6. 1877 endete, entsprangen zwei Kinder: Andreas Herold, der Erbe des „Schlosses“, und Philomena Herold, die einen Lorenz Sauer – nicht verwandt mit dem Theilheimer Sauer – in Opferbaum heiratete.

Eva Herold, die ihren Mann um 22 Jahre überleben sollte und am 23. VIII.1899 bei Ihrer Tochter in Opferbaum starb, wurde als „Ökonomiewitwe“ – nicht „Schlossherrin“, denn von einem „Schloss“ ist erst im 20. Jh. die Rede – zur großen Wohltäterin der Kirche in der Gemeinde Theilheim. So heißt es in der Dorfchronik:

„Am 23. 9. 1882 übergab die Ökonomiewitwe Eva Herold, um dem Wunsch ihres verstorbenen Ehemanns Philipp Herold gerecht zu werden, der hiesigen Kirchenverwaltung eine bayerische Staatsobligation von 2000,- M zur Gründung einer selbständigen Pfarrei oder Curatie in der Gemeinde Theilheim. ….. Im Jahre 1890 wurden von der Witwe Eva Herold weitere 3000,- M übergeben mit der Bemerkung, dass diese Summe im Verein mit den obigen 2000,- M als Lokalkaplaneistiftungsfond zu betrachten sei….. 1891 übergibt Eva Herold der Lokalkaplaneistiftung 415,- M unter der Bedingung eines jährlichen Engelamtes.“ (Chronik S.134)

Seite 134 der Theilheimer Chronik
Theilheimer Chornik, Seite 134

Sterbebild von  E.Herold,
Sterbebild von Eva Herold, Vorderseite
Sterbebild von Eva Herold,Rückseite

Ein jährliches Engelamt gibt es heute natürlich nicht mehr. Die auf Ewigkeit angelegte Kirche Gottes hat offensichtlich einen modus vivendi entwickelt, der solche Verpflichtungen nach einiger Zeit in Vergessenheit geraten lässt. Aber zurück zu den Geschichten vom „Schloss“.

Andreas Herold heiratete nach Angaben von Julie Kraus und Pater Ansgar eine Kunigunde Müller aus der Schwanenwirtschaft in Hirschfeld am Main. Aus dieser Ehe stammte die Tochter Eleonore Herold , geb. am 22. Februar 1880 zu Theilheim.


Nach dem frühen Tod des Andreas Herold heiratete die Witwe Kunigunde Herold bereits 1883 – Eleonore war gerade mal 3 Jahre alt – einen gewissen Adam Sauer (1854-1929) aus Opferbaum, nicht verwandt mit dem von Philomena Herold geheirateten Lorenz Sauer. Aus der Ehe von Kunigunde und Adam Sauer stammt Amalie Sauer, geb.am 20.03.1884, die man später „die Hirschfelder Mallie “ nannte.
Nach dem Tod seiner ersten Frau Kunigunde heiratete der Witwer Adam Sauer um 1900 eine Katharina Kess (1871-1947) – Schwester des Metzgermeisters Georg Kess, genannt „KässSchorsch“ – , die ihm den Sohn Adolf, den späteren Erben des „Schlosses“, und die Tochter Luise gebar.

Die wiederholte Verwitwung von Ehepartnern sollte sowohl für die Tochter des Andreas Herold, Eleonore, wie auch für die Tochter des Adam Sauer aus erster Ehe, Amalie, zu Umständen führen, die wir eigentlich eher aus den Märchen der Gebrüder Grimm kennen, die für die betroffenen Mädchen aber wohl als sehr bitter zu bezeichnen sind.

Eleonore trat im Jahre 1902 als Schwester M. Aloysia Herold in den Orden der Armen Schulschwestern ein. Vor ihrer „Ewigen Profess“, die am 8. September 1903 in Mattaincourt, Frankreich, stattfinden sollte, und nach welcher es ihr nicht mehr erlaubt sein würde, nochmal nach Hause zurückzukehren, kam sie nach Theilheim, um das Haus ihrer Kindheit ein letztes Mal zu besuchen.
Als sie zum „Schloss“ ging und dort anklopfte, ließ sie das „Sauers Katherla“, wie meine Großmutter Julie Kraus berichtete, nicht mehr ins Haus. In Tränen aufgelöst lief sie zu ihrem Onkel Josef Brehm (1847-1935) und dessen Kinder Adelheid, Julie, Josef/Ansgar und weinte sich dort aus, bevor sie die Heimat für immer verließ.
Wenn man die Hintergründe kennt, kann man diesen Vorfall zwar nicht gut heißen, aber zumindest verstehen: Der Erbteil Eleonores am „Schloss“ hatte 30.000,- Reichsmark betragen. Davon vermachte sie laut Chronik (S. 134) 6000,- Reichsmark der Theilheimer Kaplaneistiftung. Der Rest ging in das Eigentum ihres Klosters über, in dem sie als Lehrerin arbeitete, bis sie am 12. September 1918 in Törökbalint in Ungarn – damals noch Teil der K.u.K-Monarchie Österreich-Ungarn – verstarb.

Todesanzeige Eleonore Herold
Todesanzeige von Eleonore Herold

Für Adam Sauers Tochter aus erster Ehe, Amalie, muss die Situation unter der Fuchtel ihrer Stiefmutter Katharina, dem „Sauers Katherla“, auch nicht einfach gewesen sein. Sonst hätte es nicht dazu kommen können, dass sie eines Nachts ihre Habseligkeiten in einen Beutel steckte, diesen aus dem Fenster warf und damit mitten in der Nacht bei der Julie Brehm, die inzwischen einen Josef Kraus, meinen Großvater, geheiratet hatte, auftauchte und schwor, sie werde sich eher umbringen, als nochmal „zum Sauer hinauf“ zu gehen.

In der Not beschloss man, das junge Mädchen zu ihren Verwandten nach Hirschfeld in die Schwanenwirtschaft zu bringen. Mein Großvater Josef Kraus machte sich also im Morgengrauen mit ihr auf den Weg durch „den Grund“. Wie er später berichtete, rannte ihm Amalie „im Grund“, offensichtlich aus Angst „vor dem Sauer“, davon, so dass er sie erst am Ufer des Mains vor Hirschfeld einholen konnte.
Amalie blieb in Hirschfeld, hatte keinerlei Verbindung mehr zum „Schloss“ – offensichtlich durfte oder wollte Adam Sauer die davongelaufene Tochter ein gutes Dutzend Jahre nicht besuchen -, heiratete den Hirschfelder Bauernsohn Anton Ziegler (1879-1920) und bekam drei Kinder (1 Tochter, 2 Söhne).

Foto von Anton Ziegler
Anton Ziegler 1879-1920

Als schließlich ihre Tochter Maria, geb.19.5.1909, zur Erstkommunion anstand, erschien die „Hirschfelder Malie“, wie sie inzwischen hieß, eines Tages wieder bei den Brehm/Kraus-Verwandten in Theilheim und bat, jemand möge doch „zum Sauer hinauf“ gehen und ihn bitten, zur Erstkommunion seiner Enkelin nach Hirschfeld zu kommen. Schließlich müssen seit ihrer Flucht aus dem „Schloß“ ein gutes Dutzend Jahre vergangen gewesen sein.

Auch diesmal war es schließlich mein Großvater Josef Kraus, der „zum Sauer“ hinaufging und ihm klar machte, dass dies doch eine gute Gelegenheit sei, wieder zusammen zu kommen.
Adam Sauer willigte ein und versprach am Weißen Sonntag mit nach Hirschfeld zu gehen.
Wie meine Großmutter später erzählte, kam ihr Mann zurück und sagte: „Er hat ja gesagt, aber ich garantiere dir, am Weißen Sonntag wird eine Kuh kalben oder ein Pferd den Fuß verstaucht haben oder sonst ein Grund existieren, der es ihm erlaubt, abzusagen.“

Am Morgen des Weißen Sonntag machte sich mein Großvater mit Hut und Stock auf den Weg und ging zum „Schloss“, um den Adam mitzunehmen. Als er dort ankam, wurde gerade das Tor geöffnet, um eine Pferdekutsche einzulassen. Die Verwandten aus Opferbaum waren gekommen und man sah Adam, wie er im Sonntagsstaat die Gäste begrüßte. Unter diesen Umständen konnte er sich nicht mehr vor dem Gang nach Hirschfeld drücken, und so machte man sich gemeinsam zu Fuß auf in Richtung Main nach Hirschfeld.

Die Tochter Amalie war glücklich, ihren Vater nach so langen Jahren wieder zu sehen, und Adam fühlte sich wohl unter den Festgästen und in der Familie seiner Tochter. Von diesem Tage an riss der Kontakt nicht mehr ab und man besuchte sich gegenseitig in Theilheim oder Hirschfeld. Bei einem ihrer Besuche bei den „Krausen“ in Theilheim, in den 60er Jahren – Amalie Ziegler starb am 14.9.1971 -, habe auch ich „die Hirschfelder Malie“ noch kennengelernt.

Amalie Ziegler, geboren Sauer , 1884-1971

Das ehemalige Erstkommunionkind Maria heiratete später den Hirschfelder Bauernsohn Theodor Stock und

Fotos von Maria und Theo Stock
Maria Stock, geb. Ziegler (1909-2005) – und Theodor Stock (1901-1980)

hatte vier Kinder: drei Söhne und eine Tochter. Die Tochter Gerlinde kehrte in die ehemalige Heimat der Großmutter nach Theilheim zurück, als sie dort den Bauernsohn Adolf Ziegler heiratete. Dies alles hat mir Theodor, Jahrgang 1943, ein Enkel der „Hirschfelder Malie“ und ehemaliger Volksschullehrer, an einem heißen Sommertag im Juni 2021 in einer kühlen Gartenlaube in Hirschfeld erzählt.

So endet diese Geschichte vom „Schloss“ fast wie ein schönes Märchen: Alle, die Leute im Schloss, die Familie der Malie in Hirschfeld und die „Krausen“ Theilheim lebten glücklich und zufrieden ….., bis, ja bis ein österreichischer Landsrtreicher es schaffte, in Deutschland Reichskanzler zu werden, der als sogenannter „Führer“ neben Millionen anderer auch den Tod meines Großvaters Josef Kraus bei der Front in Theilheim und seiner beiden Söhne Alois und Josef in Russland zu verantworten hat. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Theilheim im Juni 2021, Willi Bätz, Ur-, Ur-Großneffe von Eva Herold

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