Familiengeschichten: Der letzte Mönch aus Theilheim

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Pater Ansgar Brehm (1890 – 1987)

Als der 22jährige Josef Brehm im Jahre 1912 beim Franziskanerkloster in Würzburg um Aufnahme bat, nahm man, im übervollen Kloster, den jungen Mann „von schwächlicher Konstitution und anfällig für Gastritis“, wie es in den Annalen des Klosters heißt, nur auf, „weil er eine große Frömmigkeit zeigte“. Als er am 8. März 1987 im Minoritenkloster Mariahilf in Graz verstarb, war er der älteste Mönch nördlich der Alpen.

Wer war dieser Mann, und was hat er in 97 Jahren erlebt und geleistet?

Im Kaiserreich geboren, erlebte er dessen Untergang am Ende des 1. Weltkriegs, sah den Beginn und das Ende der Weimarer Republik, den Aufstieg und Untergang des sog. Dritten Reichs der Nazis sowie die Entwicklung von Demokratien auf den Trümmern des 2. Weltkriegs.

Geboren als jüngstes Kind des Bauern Josef Brehm am 20. Juli 1890 in Theilheim, absolvierte er nach der dortigen Grundschule das Gymnasium in Würzburg, trat dann 1912 in das dortige Franziskanerkloster ein und legte dort 1913 die ersten Gelübde ab.

Die theologischen Studien an der Universität Würzburg wurden jäh unterbrochen, als er 1914 zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Die ganze Kriegszeit arbeitete er als Sanitäter, zum Teil in Monds in Belgien, wo er es – wie der spätere GRÖFAZ Hitler – bis zum Gefreiten brachte. Für den Abschluss seiner theologischen Studien schickte man ihn nach dem Krieg nach Freiburg in der Schweiz, wo er am 10. Juli 1921 zum Priester geweiht wurde. Dort hielt er auch am 11. Juli 1921 seine erste hl. Messe. Zurückgekehrt ins Mutterkloster nach Würzburg, feierte er in Theilheim nochmals Primiz, die letzte, die Theilheim seitdem gesehen hat.

Als Liebhaber der fränkischen Landschaften glaubte er in Würzburg seinen Arbeitsplatz gefunden zu haben. Doch es sollte ganz anders kommen:

Nach einjähriger Tätigkeit in Würzburg wurde er zu einer „vorübergehenden“ Aushilfe nach Österreich, ins Franziskanerkloster Neunkirchen bei Wien geschickt. Der Wiener Guardian (Chef des Klosters) soll, als er des kleinen, schmächtigen Mönchs ansichtig wurde, ihn mit den wenig schmeichelnden Worten begrüßt haben: „Wie kann man denn Sie nach Österreich schicken.“ Aus der zeitweisen „Aushilfe“ sollten 65 Jahre werden:

Nach sieben Jahren in Neunkirchen wurde er 1929 als Guardian (Leiter des Klosters) ins Mariahilf-Kloster in Graz in die Steiermark versetzt. Auf die diesbezügliche Ankündigung des Würzburger Provinzials (Chef der Klosterprovinz) reagierte Pater Ansgar mit folgendem Telegramm: „Annahme wegen Kränklichkeit und Unfähigkeit unmöglich“.

Der Provinzial blieb bei seiner Entscheidung, und Pater Ansgar ging in Gehorsam nach Graz, wo er Jahr für Jahr – auch in der Nazizeit – von seinen Mitbrüdern immer wieder zum Guardian gewählt wurde und somit gleichzeitig der Pfarrer einer große Pfarrgemeinde wurde, die er bis zu seinem 70sten Lebensjahr betreute. Dies führte nicht nur dazu, dass der Pater eine stadtbekannte Persönlichkeit wurde – Lädchenbesitzer am Schloßberg und der Murr richteten sich mangels Uhr oder Händy nach dem täglich Punkt 12 Uhr zum Brevierbeten den Schloßberg besteigenden Mönch: „Ist der Pater schon vorbeigekommen? – , und es praktisch keine Familie mehr gab in der „Pfarre“, in der der Pater nicht Taufen, Erstkommunion, Heiraten und Beerdigungen oder alles zusammen durchgeführt hatte.

Schloßberg, die Treppe
Schloßberg, Glockenturm
Blick vom Schl0ßberg

Nach der Übergabe der Pfarrei an jüngere Mitbrüder konnten alle Pfarrkinder weiterhin sicher sein, den Pater jeden Tag um 7 Uhr bei der Messe in Mariahilf und ab neun Uhr im Beichtstuhl anzutreffen.

Dabei konnte es nicht ausbleiben, dass der kleine Mönch aus Deutschland auch von politischen und kirchlichen Mandatsträgern in Österreich wahrgenommen und gelegentlich für seine Leistungen ausgezeichnet wurde:

So wurde ihm im Mai 1930 im Bundesland Niederösterreich die Landes- und Bundesbürgerschaft verliehen.

September 1964: Dankschreiben des Bischöflichen Ordinariats Graz für „35jährige eifrige Tätigkeit als Katechet“ (Religionslehrer an Schulen).

10. Juli1971: Große Feier des Goldenen Priesterjubiläums in der Pfarrgemeinde

23. September 1979: Goldenes Graz-Jubiläum ihres Paters feiert die Pfarrgemeinde

1981: Goldenes Ehrenzeichen des Landes Steiermark

1983: Goldenes Verdienstzeichen der Republik Österreich

Bei all dem erwähnte der bescheidene Mönch nie die furchtbaren Jahre, die ihm in der Nazizeit fast das Leben gekostet hätten

Es begann damit, dass ein junger Mann an die Klosterpforte kam mit der Bitte um Religionsunterricht und Aufnahme in die katholische Kirche.

Pater Ansgar als Guardian des Klosters nahm sich des jungen Mannes an und erteilte ihm wochenlang Religionsunterricht. Eines Tages erschien dann die GESTAPO und verhaftete den Mönch ohne Angabe von Gründen. Erst vor einem Sondergericht in Graz erfuhr er am 9. Oktober 1941, dass er wegen Verleumdung des Führers angeklagt sei. Sein junger Religionsschüler trat dabei auf und schwor vor Gericht, der Mönch habe ihm gegenüber gesagt: „ Der Hitler ist unser Untergang.“

Daraufhin wurde er vom Sondergericht mit Urteil Js 269/41 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und in das Gefängnis in der Karlau überführt.

Nach zwei Jahren Haft, bei einer Kost von hauptsächlich schimmeligen Kartoffeln abgemagert auf 46 kg, stellte der Kaplan Josef Brehm – sein Ordensstand wurde von den Nazis ignoriert – ein Gnadengesuch um Freilassung, da er bereits 2/3 seiner Strafe verbüßt habe, sich während dieser Zeit stets klaglos und zur Zufriedenheit des Gefängnispersonals aufgeführt habe, magenleidend sei und bereits auf 46 kg abgemagert sei.

Die Nazis, wohl aus Angst, aus dem Mönch einen Märtyrer zu machen, ließen ihn gehen, so dass er in seinem Kloster wieder zu Kräften kommen konnte.

Nach Ende des „Tausendjährigen Reiches“ kamen Leute aus seiner Pfarrei auf Pater Ansgar zu, überreichten ihm einen Zettel mit der genauen Adresse seines ehemaligen Religionsschülers in Innsbruck und baten ihn, den Kerl nun anzuzeigen. Doch der Pater erklärte ihnen, er halte sich an das Wort Jesu “Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ und überlasse den jungen Mann – der wie man erfuhr nun Lüftelmaler sei – der Gerechtigkeit Gottes.

Mit „Amtsbescheinigung“ Nr. 1286/St vom 1. September 1947 hat der Landeshauptmann der Steiermark dann von Amts wegen „bescheinigt, dass bei Herrn Josef Brehm ….die Voraussetzungen des § 1 des Gesetzes vom 4. Juli 1947 …(Opferfürsorgegesetz) zutreffe, er somit als Opfer des Kampfes um ein freies demokratisches Österreich im Sinne des Bundesgesetzes zu behandeln ist.“

Schließlich wurde 1952 vom Landgericht Graz in nicht öffentlicher Sitzung in der Strafsache gegen Josef Brehm, geb. 20. 7. 1890, folgender Beschluss gefaßt: Gem §1/b des Gesetzes vom 3. 7. 1945 über die Aufhebung von Strafurteilen … gilt die Verurteilung des österreichischen Staatsangehörigen J o s e f B r e h m aus dem Urteil des Sondergerichts Graz … vom 2.1. 1942 wegen § 2 Heimtückegesetz zu drei Jahren Gefängnis a l s n i ch t e r f o l g t .

Mit dem Ende der Kriegswirren konnte Pater Ansgar endlich wieder seine Heimat Theilheim und sein Mutterkloster in Würzburg besuchen. Für seine Großneffen und -nichten hatte er Orangen und eine Lederhose besorgt. Die Orangen waren tatsächlich die ersten Orangen, die die Großneffen und -nichten – damals alle zwischen 8 und 14 Jahre alt – in ihrem Leben zu Gesicht bekamen. Um die heiß ersehnte Lederhose gab es keinen Streit. Sie war dem arglosen Mönch in der Eisenbahn von Graz nach München gestohlen worden.

Nachdem er sich mit 70 Jahren von allen Ämtern befreien konnte, besuchte er seine Schwester Julie Kraus und die Verwandtschaft ab den 60er Jahren regelmäßig in den Sommermonaten Juli/August. Da er sich dabei bereit erklärte, den Kirchendienst zu übernehmen, gab er dem Theilheimer Kaplan bzw. dem zuständigen Pfarrer Heilig immer eine Chance, auch einmal Urlaub zu machen.

Die damaligen Ministranten, die heute alle mindestens über 50 sind, erinnern sich gerne an den sanften und liebenswürdigen Pater, der fast täglich im Hammich unterwegs war und immer mit einem Blumenstrauß nach Hause kam.

Als P a t e r A n s g a r am 8. März 1987 in seiner Zelle im Mariahilf-Kloster zu Graz die Augen für immer schloss, war er schon seit Jahren der einzige Mönch deutscher Zunge im Kloster. Wegen Personalmangel hatte der Würzburger Provinzialrat das Kloster jungen slowenischen Mönchen und Brüdern übergeben, was für den greisen Pater Ansgar, auch wegen zunehmender Schwerhörigkeit, zu allmählicher Vereinsamung führte.

………………………………………….Altersunterschied hier: 90 Jahre

Der Bischof von Graz kam höchstpersönlich, um die Totenmesse für den verstorbenen Mönch in der Klosterkirche zu zelebrieren und sagte in seiner Ansprache: „Vor 75 Jahren hast du an die Klosterpforte der Minoriten geklopft, vor 66 Jahren wurdest du zum Priester geweiht, und nun bist du hier, wo du so viele Jahrzehnte gearbeitet hast, gestorben: ein kleiner Mann an Körpergröße, aber ein großer Mann in Graz und in der Kirche. Und so sage ich als Bischof, in dem Bewußtsein, dass ich für viele sprechen darf: „Ansgar, du hast es gut gemacht.“

Die Beisetzung erfolgte unter Teilnahme der ganzen Pfarrgemeinde am 13. März 1987 im Ordensgrab auf dem Grazer Steinfeldfriedhof.

Und die Nachwelt ehrt den bescheidenen und liebenswürdigen Mönch durch einen „Stolperstein“ am Haupteingang zur Klosterkirche

Die Klosterkirche (Mariahifekirche in Graz) , alte Postkarte
Mariahilfekirche, Innenhof

W. Bätz, Großneffe von Pater Ansgar